Donnerstag, 17. Juni 2010

SCHWARZER REGEN


von Karl Olsberg

Kurz & knapp
In einer deutschen Großstadt, genauer gesagt in Karlsruhe, wird eine Atombombe gezündet – mit selbstredend schrecklichen Folgen. Während die Überlebenden der Stadt und näheren Umgebung mit ihrer Verstrahlung und der Trauer um Freunde und Angehörige kämpfen, bilden sich in Deutschland Gruppierungen, die Hass verbreiten und Gewalt ausüben.
Ex-Kommissar Lennard Pauly, dessen Sohn der Bombe ebenfalls zum Opfer fiel, ist auf der Suche nach den Schuldigen und gerät dabei selbst in Gefahr.
______________________________________

Ich erwähnte bereits meine Affinität zu Schreckensszenarien und Katastrophen unermesslichen Ausmaßes – rein fiktiv natürlich ... Ein ordentlicher Schuss literarischer Begabung sollte ebenfalls zu den Zutaten gehören.
Ich muss sagen, »Schwarzer Regen« hat meine Gelüste dahingehend voll und ganz befriedigt!

Man stelle sich den GAU schlechthin vor: In einer deutschen Großstadt detoniert eine Atombombe.
Bis Olsberg es soweit kommen lässt, steigert er die Spannung kontinuierlich: Dem Leser wird eingangs ein Einblick in das recht triste Leben des Ex-Kommissars Lennard gewährt, gefolgt von dem Auftreten weiterer Personen, die für die Handlung der Geschichte noch von Bedeutung sind.

Das weitere Vorgehen finde ich erfrischend unkonventionell und spannend: In kurzen Episoden wird das Alltagsgeschehen verschiedener, für die Geschichte meist nicht relevanter, Personen geschildert, deren (Streit-) Gespräche und Handlungen abrupt enden, weil … SCHNITT.
Man begegnet diesen Personen wieder, allerdings nach der Detonation.

Der Roman ist also zweigeteilt: Der erste, kürzere, Teil schildert das Leben vor der Bombe, der zweite Teil zeigt auf, wie das Leben (und Sterben) danach weitergeht.
Diese Erzählstruktur verleiht der Geschichte eine enorme Lebendigkeit, sie vermittelt das Gefühl, sich inmitten des Geschehens zu befinden, ohne den Leser mit dem Vorhandensein zu vieler Personen zu überfordern.
Das ist Lektüre nach meinem Geschmack: Einerseits lümmelt man sich entspannt auf dem Sofa herum, andererseits wird der größte Albtraum der Menschheit geradezu real.

Lennard Pauly, dessen Sohn sich mit seinen Kumpels zum Zeitpunkt der Explosion in Karlsruhe befand, begibt sich, von Hass und Trauer erfüllt, auf die Suche nach den Tätern. Der Roman entwickelt sich nun aber bei Weitem nicht zum Krimi – zum Glück für mich. Vielmehr geht es darum, dass Pauly sich seinen Ängsten und seiner Vergangenheit stellen muss und insbesondere darum, nicht denselben Fehler noch einmal zu begehen. Und jaaa, auch die Liebe kommt nicht zu kurz …

Sehr aufschlussreich ist zudem, wie Olsberg die neue (bzw. alte) politische Gesinnung schildert: Rechte Gruppen schießen nach dem Anschlag wie Pilze aus dem Boden und erhalten die Zustimmung der breiten Masse. Schließlich ist ein Terrorakt solchen Ausmaßes nur einer ganz bestimmten Religionsgemeinschaft zuzutrauen, nicht wahr, Herr Bush?
Wer nun aber eine glasklare Auflösung des Falls erwartet, wird enttäuscht. Ich halte das Ende des Buchs dennoch für sehr gelungen.

Kleines Manko: Die Folgen des Fallouts für ganz Deutschland und die Nachbarländer werden nicht weiter geschildert. Da eine detaillierte Schilderung diesbezüglich vermutlich auch den Rahmen sprengen und von der eigentlichen Handlung ablenken würde, sei dies verziehen.

Legt man das Buch schlussendlich beiseite, bleibt eigentlich nur ein Gedanke zurück:
Möge der schwarze Regen niemals über uns niedergehen ...

Dienstag, 12. Januar 2010

NEUNZEHN MINUTEN


von Jodi Picoult

Kurz & knapp:
Sterling, New Hampshire: Der 17-jährige Peter Houghton richtet an seiner Schule ein Blutbad an – er erschießt 10 Mitschüler. Die Tat erschüttert die kleine Stadt bis in die Grundfesten und jeder stellt sich die Frage, warum Peter diese unaussprechliche Tat begangen hat.
______________________________________

»Wenn Du das hier liest, bin ich hoffentlich tot.«

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich viele Autoren ihr Köpfchen darüber zerbrechen, einen packenden Anfangssatz für ihren Roman zu finden. Einen, der den Leser von Anfang an mit sich zieht und nicht mehr loslässt.
Unser Einstiegssatz in »Neunzehn Minuten« verspricht sehr viel, er erzählt von Dramatik, Trauer und Verzweiflung – und das muss er natürlich halten. Eine schwere Bürde für so einen kurzen Satz. Aber um eines vorwegzunehmen: Er schafft es!

Einen Amoklauf zu thematisieren ist eine ziemlich heikle Sache, besonders in Zeiten, wo die Bilder der Opfer von Winnenden und Erfurt noch tief ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt sind.
Trotz allem ist Picoult diese Gratwanderung vorzüglich gelungen.

Der Roman beginnt mit einem Brief, der viele Fragen offen lässt: Wer schrieb ihn? (Gut, das lässt sich vielleicht erahnen ...) Warum wurde er geschrieben? Und was zur Hölle ist eigentlich passiert?

Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, u.a. kommt auch Peter selbst zu Wort. Und das ist einfach wahnsinnig spannend, allerdings auch recht traurig. Wir werden in seine Kindheit mitgenommen und bekommen mit, wie er, schon als kleiner Junge, immer wieder Opfer von Demütigungen seiner Mitschüler wird, die mit dem verträumten Jungen nicht viel anfangen können. Das mag vielleicht für den ein oder anderen klischeehaft und nach einem allzu stereotypen Täterprofil klingen, dennoch ist es Tatsache, dass Mobbing an Schulen stark verbreitet ist – warum sollte Picoult dies nicht auch detailliert schildern?

Auch Peters Mutter, seine ehemals beste Freundin Josie, mit der er aufgewachsen ist und deren Mutter kommen zu Wort. Sie erzählen von der damals engen Freundschaft zwischen Peter und Josie und von der Entzweiung ihrer Mütter.
Als Josie sich später aus Coolness-Gründen von ihm abwendet, möchte man sie geradezu schütteln, ist sie doch seine einzige Vertrauensperson.
Nun hat Peter niemanden mehr ...

Picoult verzichtet in ihrem Roman auf die klassische Schwarz-Weiß-Malerei, so dass der Täter nicht automatisch durch und durch böse ist und die Opfer heilig gesprochen werden. Ich möchte einen Amoklauf nicht beschönigen, aber man kann Peter beim Lesen des Romans eigentlich kaum hassen, vielmehr empfindet man entsetzliches Mitleid mit ihm, während sein Leben nach und nach den Bach runter geht.

Das Ende des Romans gestaltet Picoult überraschend. Meiner Meinung nach ist es allerdings auch gleichzeitig die Schwachstelle des Buchs, da ich die Wandlung nicht ganz nachvollziehen und ein wenig unglaubwürdig fand.
Aber ein bisschen was zu meckern gibt's ja immer, dieser kleine Kritikpunkt sollte keinen davon abhalten, das Buch zu lesen. Neben »Wir müssen über Kevin reden« von Lionel Shriver (genial!) ist es mit das Beste, was ich je zu dem Thema gelesen habe.


Vielleicht ein wenig off-topic aber hochinteressant – die Null-Toleranz-Politik an US-Schulen als Präventionsmaßnahme.

Wir wissen ja nun alle, wie die Vereinigten Staaten in Krisensituationen reagieren:
Die Hetzjagd wird ein-, der gesunde Menschenverstand ab- und die Wahrung der Privatssphäre des Einzelnen ausgeschaltet.

Und was passiert?
Der Wahnsinn greift um sich.

Da zeichnet ein siebenjähriger Junge in der Schule ein Strichmännchen, welches eine Pistole in der Hand hält.
Nicht schlimm, mag sich der leichtfertige Bürger denken. ABER: Die Pistole zeigt auf ein anderes Strichmännchen! Spätestens jetzt sollte jeder vernünftige Mensch einsehen, dass der Schulverweis voll und ganz berechtigt war. Von einem Siebenjährigen kann man doch etwas mehr Weitsicht erwarten ...
Und wo kämen wir denn da hin, wenn jedes Kind, das zu seinem Geburtstag Kuchen für die Mitschüler und – ein Kuchenmesser! – mitbringt, nicht ebenfalls der Schule verwiesen würde. So geschehen im US-Bundesstaat Delaware.
Im selben Bundesstaat wagte es ein sechsjähriger frischgebackener Pfadfinder, stolz wie Oskar, sein neues Campingbesteck mit in die Schule zu bringen – ihm drohten 45 Tage in einer Besserungsanstalt.
Lächerlich, man hätte ihn gleich nach Guantanamo schicken sollen.

Und Folgendes lässt einen doch nur noch fassungslos dastehen:
In einer texanischen Kleinstadt dürfen sich Lehrer bald bewaffnen. Nein, natürlich nicht mit Tränengas sondern mit Pistolen. Wer jetzt vorschnell die Hände überm Kopf zusammenschlägt, sollte bedenken, dass die Lehrer immerhin einen Waffenschein machen und einen Kurs in Krisenmanagement absolvieren müssen.
Die Idee ist doch genial! Wieso das Recht auf Waffenbesitz einmal überdenken, wenn man doch Waffengewalt mit Waffengebrauch entgegentreten kann?

Im Übrigen ist auch Denunziation wieder in, etwas, was dem Menschen irgendwie zu eigen ist, wie ich fürchte.
Wer verdächtige Mitschüler anschwärzt, kann sich für 10 Minuten als Held fühlen. Zumindest so lange, bis er bemerkt, dass er durch die Kameraüberwachung an seiner Schule eigentlich »per default« selbst verdächtig ist.

Äußerst aufschlussreich sind auch die vor Selbstgerechtigkeit triefenden Antworten auf die Frage, wer denn nun Schuld ist an unserer degenerierten Jugend:
Sind es Ego-Shooter? Oder vielleicht doch Marilyn Manson?

Auf die Frage hin, was er den Kids sagen würde, antwortete Manson:
»I wouldn't say a single word to them, I would listen to what they have to say, and that's what no one did« (Bowling for Columbine).

Und so ein Monster lassen wir frei rumlaufen ...?

Dienstag, 24. November 2009

2012


von Brian D'Amato

Kurz & knapp
Jed Delanda, ein Nachkömmling der Maya, der mittlerweile in den Vereinigten Staaten lebt, beherrscht ein uraltes Spiel, mit dem man die Zukunft berechnen kann. Bereits die Maya spielten es, allerdings in einer weitaus komplexeren Weise. Und sie berechneten, dass die Welt am 21. Dezember 2012 untergeht. Jed muss handeln ...
______________________________________

Aus aktuellem Anlass, habe ich mich dazu durchgerungen, eine Rezension über »2012« von Brian D'Amato zu verfassen. Durchgerungen deshalb, weil es mir wirklich nicht leicht viel, dieses Buch zu Ende zu lesen. Da es für mich aber moralisch nicht – oder nur in seltensten Fällen – vertretbar ist, einen Roman nicht zu vollenden, quäle ich mich selbst durch die dicksten Schinken.
Dabei durchlaufe ich folgende Phasen:

Phase 1: Ich finde zwar von Anfang an keinen Einstieg, denke aber selbst bei Seite 50 noch: »Das wird schon, aller Anfang ist nun mal schwer ...« Weiter geht’s!
Phase 2: Ich werde langsam etwas ärgerlich, hoffe aber immer noch, dass dieses Buch etwas ganz Besonderes wird, gerade weil man etwas länger braucht, um in die Materie einzutauchen (solche Fälle sind mir tatsächlich untergekommen). Allerdings ertappe ich mich nun dabei, nicht mehr jede freie Minute, die ich habe, zum Lesen zu nutzen. Stattdessen räume ich auf, treibe mich verstärkt im Internet rum oder mache sonst was.
Kurz: Ich lenke mich selbst vom Lesen ab ...
Phase 3: Die Fassade bröckelt. Es fällt mir zunehmend schwerer, die Illusion aufrechtzuerhalten. Ich bin wütend und entmutigt. 400 Seiten und immer noch kein Aha-Erlebnis. Erste Selbstzweifel schleichen sich ein: Vielleicht verstehe ich dieses Buch einfach nicht. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, bestimmt gestaltet der Autor das Ende ganz phänomenal ...
Phase 4: Hass. Das, was ich insgeheim die ganze Zeit wusste, ist eingetreten. Das Ende ist nicht genial und der Autor hat auch nicht im letzten Moment das Ruder rumgerissen, um mich sprachlos dastehen lassen. Vielleicht sprachlos darüber, mal wieder kostbare Lebenszeit vergeudet zu haben. Ich pfeffere das Buch ins Regal und nehme mir vor, nie wieder ein Buch dieses Autors oder irgendeines Mitglieds seiner Familie zu lesen!

Jedenfalls habe ich beim Lesen von »2012« exakt diese Phasen durchlaufen, und bei satten 888 Seiten (an sich ein Grund zur Freude) war insbesondere Phase 4 recht ausgeprägt.
Ich möchte gar nicht sagen, dass der Roman unglaublich schlecht ist. Er beginnt vorausgreifend damit, dass das Bewusstsein des Protagonisten Jed in das Gehirn eines Maya »reist«. Ein Anfang, der manchen Leser bestimmt fasziniert, ich konnte leider nichts damit anfangen. Auch die mentalen Streitgespräche zwischen Besetzer und Besetztem, welchem auffällt, dass jemand die Macht über seine Schaltzentrale ergriffen hat, finde ich – gelinde gesagt – albern.

Weiter geht’s mit ausführlichen Beschreibungen zu Jeds Person, seiner Vergangenheit und natürlich zu den Maya. Und wenn ich ausführlich sage, dann meine ich ausführlich! Es ist recht ermüdend, wie sich Jed bzw. der Autor in Details ergeht. Historische Detailgenauigkeit in allen Ehren, aber das geht zu weit.
Dass Jeds Taufe »[...] am 2. November 1974 oder, nach unserer Zeitrechnung, 11 Heuler, 4 Weiße im fünften Uinal des ersten Tun im achtzehnten K'atun des dreizehnten und letzten B'ak'tun [...]« stattfand, ist einfach zu viel der Information. Und das ist noch harmlos.
In die sowieso schon ziemlich verworrene Geschichte rund um ein uraltes Mayaspiel, mit dem man die Zukunft berechnen kann (was sonst?), werden immer wieder s e i t e n l a n g Begebenheiten, Zustände oder Dinge beschrieben.
Zwar verleiht der Autor seinem Helden eine gute Portion Zynismus und Sprachwitz, dennoch bleibt die Figur des Jed erschreckend nichtssagend und blass gezeichnet. Und ich denke, dass ist das Schlimmste, was einer Romanfigur passieren kann. Normalerweise empfindet man irgendwas für den/die Protagonisten, sei es Bewunderung, Abscheu, Hass oder Mitleid – aber Jed Delanda war mir schlicht und einfach egal.

Was sich ebenfalls enorm störend auf den Lesefluss auswirkt, sind die zahlreichen Einwürfe in Jeds Muttersprache, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es sich um Spanisch, einen Maya-Dialekt oder beides handelt. Ich bin des Spanischen leider nicht mächtig ...
Extrem genervt haben mich zusätzlich die aus der Maya-Sprache übersetzten Namen einiger Bekanntschaften Jeds. Da begegnet man hier einem »3-Blaue-Schnecke« und dort einem »9-Reißzahn-Kolibri«. Auf Seite 551 wird uns ein Mädel namens »Scheißhaar« vorgestellt und wenige Seiten weiter ein hart arbeitender »Gürteltierschiss«.
Dass eine Dame, 'tschuldigung – eine Wiegerin der Nacht, namens »Frau Koh« auf Seite 495 durch einen Tippfehler in »Frau Kot« verwandelt wird, fällt inmitten dieser illustren Namensvielfalt nicht mehr sonderlich auf ...

Ich mag konstruierte Weltuntergänge ja sehr gerne, allerdings sollen sie bitte ein wenig plausibler daherkommen.
In diesem Sinne:
¡No me gusta mucho!